Elternbesuch
veröffentlicht am 24.02.2011
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Besuch meiner Eltern vom 25. Januar bis zum 10. Februar 2011
Ein Bericht von Christiane Beckers

Wir sind letzte Woche aus Ruanda zurückgekehrt, wo wir Dane für 2 Wochen besuchten.
Unsere ersten Eindrücke haben uns erst mal die Sprache verschlagen. So viele Menschenmassen auf der Straße, Lehmhütten ohne Strom und Wasser, Frauen, die kiloweise, sei es Gemüse oder Obst in großen Körben oder Kanister vollgefüllt mit Wasser usw. auf ihren Köpfen tragen ...alles Bilder, die wir bisher nur aus Fernsehreportagen kannten.

Nächster Schock war, als wir Dane's Behausung, wo er mit Till und Martin lebt, betraten. Ein Blick in die Küche und ins Bad und mein erster Gedanke war: Taxi, Hotel. Nun, ich hatte Dane versprochen, weder spießig zu sein, noch Stress zu machen und setzte mich erst mal hin, auf Sesseln, deren Bezüge wohl niemand gesehen haben möchte.
Da Dane meinem Wunsch, indem ich ihn vor unserer Reise bat, uns ein Hotel in Kigali zu buchen, nicht nachgab, sondern stolz verkündete, er hätte nicht umsonst das größte Zimmer, ließ ich mich auf das Abenteuer ein.
Nun, was soll ich sagen, überrascht von mir selber, gewöhnte ich mich schnell an die äußerst grenzwertigen hygienischen Verhältnisse, sei es an die vielen krabbelnden Mitbewohner, von Kakerlaken bis co., an Matratzen, wo man direkt bis zum Boden durchliegt, wobei die Jungs mir die neuste überließen. An den Wasserhahn im Bad, in der Küche gibt es so was gar nicht, den man festhalten musste, sonst rutschte er nach links oder rechts, wo oft das Wasser milchig durchlief, doch wir hatten Glück, zu unserer Zeit war immer Wasser da, was auch keine Selbstverständlichkeit ist.
Über die Wohnverhältnisse könnte ich jetzt noch seitenweise berichten, Fazit ist, dass Dane meine volle Bewunderung hat, dass er sich trotz der bescheidenen Umstände dort so wohl fühlt.

Um uns so viel wie möglich von Ruanda zu zeigen, hatte Dane sich wirklich ins Zeug gelegt.
So führte er uns erst mal durch die verschiedenen Stadtteile von Kigali. Los ging's von seinem Wohnviertel mit den Minibüschen, in denen wir nie einen weiteren Weißen gesehen haben. Sie sehen aus wie umgebaute VW-Bulli's, bei manchen dachte ich, der fällt jetzt jeden Moment auseinander, eingequetscht bis zu 19 Leuten und voll waren sie immer.
Ohne Dane hätten wir es sowieso nicht kapiert damit zu fahren, denn es gibt keine Busnummern, geschweige denn Fahrpläne, man sagt einfach, wo man hin will und die sagen dann ja oder nein. Die Namen der Stadtteile kannten wir eh anfangs nicht, geschweige denn, dass wir sie hätten aussprechen können.
Ruanda heißt nicht umsonst das Land der tausend Hügel, Kigali verteilt sich somit auch auf mehreren und die Steigungen sind nicht ohne, hinzu kommen die Massen von Menschen, ein chaotischer Straßenverkehr, wo für Fußgänger in der Regel keiner hält, die Hitze, der Staub, wahrlich keine gemütliche Stadt, in der man mal so bummeln geht. Und als Weißer wird man zudem im Minutentakt angequatscht, die einen wollen einem ständig irgendwas verkaufen, andere betteln.
Marcel und ich waren nach einem Kigali-Trip immer völlig fertig. Dane geht damit total locker um, mit seinem gelernten Kinyarwanda schafft er es eh, dass die Leute ihn in Ruhe lassen.
Doch zum Glück gab es auch Zugfluchtpunkte, schöne Cafés nach europäischem Standard, wo sich das Bild auf einmal völlig wendete, denn die Meisten dort waren weiß. Erst da wurde einem bewusst, dass es tatsächlich hunderte von Entwicklungshelfer vor Ort gab.
Auch schicke teure Hotels sind ausreichend vorhanden. Der "normale Tourist" wird im dicken Geländewagen mit Chauffeur hinter dicke Hotelmauern, die von Militärposten bewacht werden, gebracht und von dort in die Nationalparks gefahren.
Aus diesem Blickwinkel betrachtet, war ich doch froh, nicht im Hotel zu wohnen und bin Dane sehr dankbar, dass wir durch ihn mitten ins ruandische Leben eintauchen durften.

Dane wusste, dass ich immer davon geträumt habe, wenn ich mal in einem zentralafrikanischem Land bin, dort auf einer Safari auch mal die tollen Tiere sehen zu können. So schaffte er es, dass wir gemeinsam mit einem anderen Freiwilligen, dessen Mutter, die auch zu Besuch war, zum Akagera-NP, der an Tansania grenzt, fuhren und uns mit ihr die Kosten für Wagen, Chauffeur und dem Guide teilten. Und so wurde mein Traum, wie ich mir Afrika in den schönsten Bildern immer ausgemalt habe, wahr. Von einer Anhöhe blickte man über eine unglaublich weite Savanne, mit großen Seen. Zu Beginn fuhren wir per Boot über einen der Seen, wo wir viele außergewöhnliche Vögel, Nilpferde und Krokodile sahen.
Weiter ging's per Geländewagen in den Norden des Parks, wo sich zurzeit die meisten Tiere befanden. Wir sahen verschiedene Antilopen und Gazellen, immer wieder Affen, Herden von Langhornrindern und große Zebraherden. Und dann schließlich Giraffen, von denen ich völlig fasziniert war. Wir konnten sehr nah an sie heranfahren, sie schauten uns neugierig an und schritten graziös vor uns her. Zum Schluss durften wir in der Nähe der Giraffen sogar mal aussteigen, da war mein Afrika-Traum dann vollends erfüllt.

Schon auf dem Weg zum Akagera wurde mir bewusst, wie wunderschön doch Ruanda ist. Bis in den letzten Zipfel der Hügel, wächst und gedeiht auf diesem fruchtbaren Boden alles. Aber dass selbst hier auf dem Land, Unmengen von Menschen auf den Straßen unterwegs waren, versetzte uns in großes Staunen. Vor allem, wenn weit und breit weder Hütte noch Dorf in Sicht war, waren dennoch immer große Völkerwanderungen unterwegs. Und wenn ich noch von dem Anblick der Mengen, die die Menschen in Kigali auf ihren Köpfen trugen, schockiert war, war das, was wir hier sahen, unfassbar. Zentner Säcke mit Kartoffeln, riesige Ladung Brennholz, selbst Kinder, die Wasserkanister vom Brunnen nach Hause schleppten, alles trugen sie aufrecht auf ihren Köpfen. In braunen Flüssen sahen wir Frauen, die ihre Wäsche wuschen.

Sonntags besuchten wir mit Dane einen katholischen Gottesdienst. Die Kirche war sehr groß, ca. 600 Menschen waren da, mit uns gab es noch 4 weitere Weiße. Die Messe war in französischer Sprache. Die Predigt war eine Katastrophe, so wurde bei uns vielleicht noch vor 40, 50 Jahren gepredigt, etwa jeder dritte Satz war: Wenn ihr euch nicht ändert, kommt ihr nicht in den Himmel! Doch sonst war es sehr ergreifend, insbesondere wenn der Chor sang und sich mit ihm alle, auch der Pfarrer in einem Rhythmus bewegten, wie man es bei uns nur auf Popkonzerten sieht.
Überhaupt klang sonntags in Kigali fast den ganzen Tag über aus vielen Gotteshäusern wunderschöne Musik.

Um uns weitere Highlights von Ruanda zeigen zu können, organisierte Dane für 3 Tage einen Geländewagen, über seinen Chef, der einen kannte, der wiederum einen kannte usw.
Wir fuhren über Butare zum Nyungwe-NP. Wir übernachteten in einem Guesthouse, dass am Eingang des Parks liegt. Affen spielten umher, der Ausblick war grandios, riesige Teeplantagen und dahinter der Nebelwald.
Übrigens genossen wir dort unsere erste warme Dusche seit unserer Ankunft in Ruanda.
Wir ahnten noch nicht, dass der nächste Tag das reinste Abenteuer wurde. Die Straße durch den Park führte von einem Schlagloch zum nächsten, doch da noch völlig ahnungslos, dass es nach dem Park nur noch auf einer Holperstrecke weiterging, wo wir maximal im Schnitt 10 km/h vorankamen, insgesamt legten wir so 70 km zurück. Im Park buchten wir einen Wandertrail, unser Guide war sehr nett, wir erfuhren interessante Details, aber wie es zu diesem Tag passte, wurden wir plötzlich innerhalb von Sekunden von Ameisen überfallen, die in Mengen uns bis in die Unterwäsche krabbelten. Dann fing es noch in Strömen an zu regnen. Dane als einziger ausgerüstet mit Regenjacke, fand nur Worte wie: Eltern, ihr wusstet doch, dass wir in den Regenwald fahren ...
Trotz der Hindernisse, die Natur war grandios und entschädigte so vieles. Die nächste Nacht verbrachten wir in Kibuye, wieder in einem Guesthouse, in traumhafter Lage auf einer Halbinsel am Kivusee. Die dazugehörige Gartenanlage war paradiesisch, beim Frühstück auf der Terrasse fühlten wir uns wie die damaligen Kolonialherren.

Während unserer Reise machten wir, wie Dane schon berichtete, die gleiche Erfahrung, dass die Menschen, sobald man mal anhielt oder gar aus dem Auto stieg, zu mehreren kamen, Mzungu riefen und uns anstarrten. Oft wünschte ich mir in solchen Momenten, ihre Hautfarbe zu haben, um einfach unbemerkt weitergehen zu können.
In der darauffolgenden Woche kamen wir noch einmal zum Kivusee, nach Gisenyi, an der Grenze zum Kongo, zurück, diesmal mit dem öffentlichen Bus.
Entlang der Strandpromenade stehen prachtvolle Villen, denn vor dem Genozid wohnte oder verbrachte hier ein internationales Publikum seinen Urlaub. Aber ich musste direkt wieder an mein Buch denken, wo hier damals Millionen von Flüchtlingen entlang liefen und im Kongo Zuflucht suchten.
Wir übernachteten im Dian Fossey Hotel, verglichen mit europäischem Standard maximal 2 Sterne. Doch im Bad gab es sogar Fliesen, wenn auch an vielen Stellen kaputt, aber für uns war es, verglichen mit dem, was wir bisher gesehen hatten, der pure Luxus. Und der Luxus wurde an diesem Tag noch vollends übertroffen, wir verbrachten den Nachmittag im Lake Kivu Hotel, eins der besten Hotels des Landes, wo wir dann abends auch fürstlich speisten.

In Kigali besuchten wir noch 2 Ateliers, wo mehrere ruandische Künstler tätig sind und ihre Werke ausstellen. Unglaublich viele schöne Bilder, in tollen Farben und wie ich eben erfahren habe, hat Dane es geschafft, eins der Bilder, dass ich schon favorisiert hatte, nun zu kaufen, welches der Künstler eigentlich noch nicht zum Kauf freigeben wollte. Wau, ich freue mich schon riesig auf das Bild.

Ein weniger schöner Besuch waren die Genozid-Gedenkstätten, Nyamata und Ntarama, 2 Kirchen ca. 30 km südlich von Kigali, wo damals über 40000 Menschen ermordet wurden.
Es war furchteinflößend, denn man hat fast alles so belassen, Kleidung der Verstorbenen verteilt auf Bänken, Spuren von Granatsplittern, Blutflecken an Wänden und und und. Vor der einen Kirche sind zwei riesige Grabgruften, in die man hinabsteigen kann, doch ich war wie gelähmt und brachte es nicht fertig, hinunterzugehen.
Während unsere Zeit in Ruanda las ich das Buch von Paul Rusesabagina, der ehemalige Direktor des Hotels Mille Collines, der während des Genozids über 1200 Menschen das Leben rettete, in dem er ihnen Zuflucht ins Hotel gewährte. Es dort zu lesen, hätte ich vielleicht besser nicht getan, denn so waren seine Schilderungen für mich täglich präsent. Allein die Vorstellung, dass in den Straßen, in den wir gerade liefen, damals überall Leichen gelegen haben, ließ mich jedes Mal erschauern. Als wir im Mille Collin waren, war mein erster Gedanke: Das ist der einigste Ort in ganz Ruanda, wo man sicher sein kann, dass hier niemand ermordet wurde.

Wenn man den Menschen auf der Straße begegnet, hat man nicht das Gefühl, dass sie ein fröhlich lustiges Volk sind, eher treffen einen ernste, gar ablehnende Blicke. Doch hat man einen Kontakt zu Ruandern, dann sind sie unglaublich herzlich. So wie Flora, Dane's Vermieterin, die einmal extra für uns gekocht hat, völlig traurig wirkte, als sie wusste, dass wir am nächsten Tag wieder abreisen. Oder Lydia, die Marktfrau, die mitging zum Nachbarn um dort für uns die schönsten Bananen zu fordern, da sie selbst keine mehr anbieten konnte. Die Dame im kleinen Emmaladen, die uns schon freundlich anlächelte, wenn wir kamen und noch viele Begegnungen, die die Herzlichkeit der Ruander auszeichnete.

Damals waren wir zu tiefst betroffen, als Dane uns mitteilte, dass er für ein Jahr nach Ruanda gehen wird. Das Einzige, was wir über dieses Land wussten, war, dass es 1994 dort diesen fürchterlichen Völkermord gab.
Heute wissen wir, dass Dane in einem wunderschönen, aufstrebendem Land wohnt, dass zudem die höchste Sicherheit bietet, sich als sauberstes Land Afrikas auszeichnete und energisch gegen jegliche Korruption vorgeht.
Außerdem ist die Lebenserfahrung, die er dort macht, unschätzbar groß und ich hoffe, er wird es auch nach seiner Rückkehr (was hoffentlich der Fall sein wird) noch lange zu schätzen wissen, seine Wäsche frisch gebügelt im Schrank vorzufinden, denn zur Zeit muss er die noch per Hand im kalten Wasser selber waschen.
Wir wünschen Ruanda und all den Menschen von ganzem Herzen eine zuversichtliche Zukunft. Viele gute Grundsteine für ein friedliches Zusammenleben wurden gelegt, wenn auch aus unserer Sicht manches noch am dünnen Faden hängt.
Dank Dane durften wir diese komplett andere Kultur selbst mal hautnah kennenlernen und auch wir gewannen in dieser kurzen Zeit Erfahrungen, die wir nie vergessen werden.
Noch wirkt unser Haus seit unserer Rückkehr wie ein Luxustempel auf uns, selbst der Flur, wo ich noch vor unserer Abreise befand, er müsste dringend renoviert werden, strahlt auch ungestrichen noch im schönsten Weiß.
Hoffentlich hält diese Sichtweise noch lange an und wir jammern und klagen nicht irgendwann wieder über völlig unbedeutende Dinge.

So Kind, ich weiß, dass dir nach diesem Bericht jetzt die Haare zu Berge stehen. Mir ist klar, dass du und alle, die in deinem Alter sind, dies völlig anders betrachten, aber du hast mich gebeten, es aus meiner Sichtweite zu schildern und die ist genau so und nicht anders.